Grundwissen Betriebshierarchie


Vor der Betriebsübergabe (Pacht oder Verkauf) an Marcel besteht folgende Betriebshierarchie (schwarzer Pfeil):

Bild 1: Vor der Betriebsübergabe

Die Arbeitsteilung zwischen Frieda, Ernst und Marcel hat sich im Laufe der Zeit „einfach so ergeben“. Dass Marcel Angestellter von Frieda und Ernst ist, ist allen dreien zwar bewusst, denn es besteht ja (vielleicht!?) ein Arbeitsvertrag und Frieda und Ernst rechnen für Marcel AHV usw. ab. Über die Hierarchie, die Rollenverteilung (Chef, Angestellter) und was dies bedeutet wird jedoch nie gesprochen.

Nun wird alles vorbereitet, um den Betrieb an Marcel und Regula zu verkaufen. Diskutiert wird über den Wert des Hofes, steuerliche Folgen, über die Finanzierung, Nutzniessungen der älteren Generation usw.

An genau dem Tag, an dem Frieda und Ernst den Hof an Marcel und Regula verkaufen, d.h. an genau dem Tag, an dem der Kaufvertrag unterschrieben wird, ändert sich die Betriebshierarchie:

Bild 2: Nach der Betriebsübergabe (Theorie)

Über die Neuverteilung der Chef/Angestellter-Rollen macht sich keiner Gedanken. Unbewusst denken Frieda, Ernst und Marcel, dass es einfach so weitergeht wie bisher. Einzig Regula hat vielleicht eine andere Vorstellung in Bezug auf die Chef/Angestellter-Rollen. Dort, wo sie bis jetzt gearbeitet hat, war klar, welche Rolle ein Chef oder ein Angestellter auszuüben hatte. Dort bestand kein „verwandtschaftliches Gefühlsgnusch“ wie Mutterliebe, Erwartungen des Vaters in den Hofnachfolger, Schuldgefühle von Marcel seinen Eltern gegenüber usw.

Manchmal ist Ernst noch Angestellter, wenn er das AHV-Alter noch nicht erreicht hat. Dann wird auch AHV abgerechnet.
Oft ist es jedoch so, dass Mutter und Vater „einfach noch“ helfen, meistens jeden Tag inklusive Samstag und Sonntag … Lohn wollen sie dafür keinen … das ist so üblich(!?) … keiner weiss, welche Rolle sie eigentlich ausüben (… ein wenig Angestellte … ein wenig Eltern … ein wenig Betriebsinhaber aus Gewohnheit …)

Die Zeit vergeht - Regula übernimmt auch auf dem Hof mehr Arbeiten - die jüngere Generation wird immer sicherer in der Führung des Hofes - für Futtermittelberater, IP-Kontrolleure usw. ist nicht mehr Ernst Ansprechpartner, sondern Marcel und Regula - Frieda fühlt sich nicht mehr gebraucht von ihrem Sohn, da Regula „alles“ für ihn macht - die jüngere Generation will vorwärts gehen - die ältere Generation „sinkt“ in der Betriebshierarchie, hat keine „elterlichen Rechte“ mehr - ihr Frust wird immer grösser und dadurch auch der Frust der jüngeren Generation, weil die jüngere Generation das Gefühl hat, sie könne der älteren Generation nichts Recht machen. Es entsteht folgendes "Betriebshierarchiegnusch":

Bild 3: Nach der Betriebsübergabe (Praxis)

Da die Ankunft einer Schwiegertochter oft in einen zeitlich engen Rahmen mit der Betriebsübergabe fällt, ist auch für die aus der Betriebsübergabe entstehenden Probleme oft die Schwiegertochter „praktischerweise“ der Sündenbock. Gelöst wird durch diese Schuldzuweisung das Generationenproblem natürlich nicht.



Beachte: Territorium
Zu beachten bei der Betriebsübergabe an die jüngere Generation ist auch die Tatsache, dass das Territorium geteilt wird. Vor der Betriebsübergabe gehörte das gesamte Territorium der älteren Generation, nun gehört der grössere Teil dem Sohn, der kleinere Teil (Nutzniessungen, Wohnrecht usw.) der älteren Generation.
Auch hier geht – solange der Sohn alleinstehend ist – nach der Betriebsübergabe meist „alles weiter wie bisher“.
Spätestens dann, wenn Marcels Frau zu ihm zieht, muss über die definitive Zuteilung des Territoriums gesprochen werden. Auf dem Hof wohnen nun zwei Ehepaare, die jeweils auf ihrem Territorium das Sagen haben und sich auf dem Territorium der anderen Partei an deren Regeln halten müssen.
Für Frieda und Ernst ist dies besonders schwierig, denn sie fühlen sich wieder auf der „Verliererseite“. Und trotzdem – auf dem Territorium von Marcel und Regula sind sie nur noch „Besucher“ oder „Gäste“. Führen sie sich weiterhin wie Besitzer auf, gibt es Konflikte.